Gedanken | blaugetaucht: Kurzgeschichten und lyrische Gedanken

Buchcover blaugetaucht Kurzgeschichten und Gedankenblaugetaucht: Kurzgeschichten und lyrische Gedanken wurde am 15. September 2009 als ein Titel der Anthologie-Reihe im Balthasar Verlag veröffentlicht. Die Geschichten und Gedichte wurden vom Verlag ausgewählt. ISBN: 978-3937134482

Buchrücken: Eingetaucht in blaugetaucht. Blau – Farbe, Stimmung, Meer, Himmel, Sehnsucht. All das. Und mehr. Manchmal. Und vielleicht sogar – der Tod. Zumindest, wenn es nach den 40 Autoren aus Polen, Österreich und Deutschland geht.

In dieser Anthologie* ist meine Geschichte „Gedanken“ veröffentlicht. Diese könnt Ihr hier nun ebenfalls lesen. Kaufen könnt Ihr das Buch hier**. Eine weitere meiner Geschichten wurde in dem Buch Baumgeflüster veröffentlicht.

Gedanken

Ich beobachtete, wie die Tinte auf dem Papier eintrocknete. Langsam verbreitete sie sich in den Fasern des Papiers.
Ich schrieb. Schrieb sinnlose Wörter zusammenhangslos auf das Blatt. Beobachtete jedesmal, wie die Tinte das Papier blau färbte.
Ich war nachdenklich. Was war wohl mein Traum? Mein innigster Wunsch? Ich wusste es nicht. Gegen das Fenster prasselte der Regen. Vielleicht wollte ich dort draußen sein. Mich dort draußen neu erfinden. Aber ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, was passieren würde.

Ich stand auf und öffnete das Fenster. Kalter Wind blies mir ins Gesicht. Ich bewegte mich nicht, nahm nur meinen Atem wahr, der Rest meiner Gedanken war woanders. Irgendwo zwischen den Regentropfen, die zu Boden fielen.
In meinem Kopf versuchte ich, Worte zu bilden, doch sie zerbrachen noch im Entstehen. Ich starrte in den Regen.
Langsam bildeten sich große Pfützen vor meinem Fenster, und der Wind wehte das beschriebene Blatt von meinem Tisch.

Ich schloss meine Augen und lauschte der Melodie des Regens. Sie spielte nur für mich. Sie war um mich herum und in mir drin. Sie ergriff jede Zelle in meinem Körper. Ich fühlte mich frei. Musste nicht denken, musste nicht sehen und musste nicht empfinden.
Langsam öffnete ich meine Augen. Ich wusste nicht, wer ich war. Wusste nicht, was ich hier wollte. Gehörte ich hier überhaupt hin? Gehörte diese Leere in mich? Gehörte mir dieses Leben? Ich trug eine Maske, das wusste ich. Mein Innerstes verdrängte die Zeit. Sie schuf ein Bild, einen Menschen, der ich nicht war.

Draußen stürmte es weiter. Ich ging zurück an meinen Tisch und setzte mich. Dann nahm ich meinen Federhalter.
Ich fing erneut an zu schreiben. Diesmal füllte sich das Blatt mit Worten, die zu Sätzen wurden. Die Worte kamen direkt aus meinem Herzen:

Der Tag war gekommen. Traurig ging ich am Meer vorbei, begleitet von Menschen. Menschen, die mir unbekannt geworden waren. Menschen, die ich einst kannte. Das war mein Tag. Diesmal suchte ich mich. Ich wollte nicht immer gesucht werden, ich hatte mich ja noch nicht einmal selbst gefunden. Wurde von allen Seiten gefragt. Fragen, die ich nicht verstand. Menschen wollten etwas von mir, doch ich wusste nicht was. Jetzt weiß ich es. Sie wollten mein Herz. Wollten, dass ich ihren Schmerz nahm. Warum ich? Ich war doch nicht so stark. Kann doch unter der Last gar nicht laufen. Muss ja schon meinen Schmerz mit mir herumtragen.

Aber heute sollte es vorbei sein. Ab heute wollte ich mir gehören. Ab heute wollte ich mein Herz zurück. Die Wellen schlugen gegen das Ufer und Möwen kreischten irgendwo in der Ferne. Irgendwo, ja irgendwo war ich auch.
Irgendwo wurden Herzen gestohlen, zerschmettert und zerfetzt. Meins hatte das meiste davon noch überlebt. Aber diese Narben bleiben für immer. Die würde ich niemals loswerden. Sie waren wie große Wunden, die nur langsam verheilten.

Der Wind zwang mich in die Knie. Die Menschen liefen einfach weiter. Sie bemerkten nicht, wie meine Seele vor Qualen schrie. Es war nie einfach. Das hatte ich nie behauptet. Nie hatte ich das gesagt. Es war nicht einfach, aufrecht zu stehen und sein Herz dort zu halten, wo es hingehörte. Der Wind rüttelte an mir, wollte mich und mein Herz mit sich reißen, aber ich hielt mich fest. Hielt mich an der Hoffnung fest, dass der Wind irgendwann nachgeben würde.

Stundenlang saß ich da. Langsam wehten die Menschen von mir weg. Jede Erinnerung war egal. Ich war hier. Ich und mein Herz. 
Irgendwann war alles fort. Es war still. Der Wind hatte mir alles genommen, aber mein Herz habe ich gehalten. Ich hielt es dem Himmel entgegen. Er war blau.

Mein Herz pochte langsam, aber lebhafter als all die vergangenen Zeiten.
Ich stand vor dem Meer. Allein.
Und betete leise der Stille entgegen: „Nimm mein Herz nicht wieder fort…“

Ende. Ich legte den Stift zur Seite.
Der Regen war weggezogen, und einige Sonnenstrahlen schlichen sich in den Raum. Ich ließ mir von ihnen ein leises Lächeln auf die Lippen zaubern. Nun ging ich zum Fenster, schaute in den blauen Himmel und wusste, dass es richtig war.

*Sammlung von Gedichten oder Texten verschiedener Autoren in einem Band oder in mehreren Bänden.
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